Dutzendzeiler

Tonangeber & das eintausendneunhundertvierundvierzigste Gedicht

Weihnachstmarkt auf dem piazza dei signori

Einsackbarer Reis

Ich streb nach der Neutralität des Reis' -
Muss gar nicht so viel sein, nur verlässlicher Grund.
Meine Unaufgeregtheit verlangt diesen Preis -
Ich entfalte die Stärke durchs Sein im Verbund.

Ich streb nach der Leistungsbereitschaft des Reis' -
Will vielerlei Soßen Geschmacksträger sein -
Leg eigene Krönungen vorerst auf Eis -
Verschreib mich qua Körnung dem Drall vom Verein.

Ich streb aber auch nach der Vielfalt vom Reis,
Von dem Toprating-Augenmerk blind unterschätzt.
Die Wirkmacht der Milde sucht keinen Beweis
Und wird selten in fremde Jargons übersetzt.

Kulissen & das eintausendneunhundertsiebenunddreißigste Gedicht

Raum im Kunstlabor 2

Unter Zeitgenoss

Du drängst auf Bedeutung, so viel kann ich seh'n:
Fast flehentlich dräut der Befehl zu versteh'n
Ums Relevante, Importante.

Und das Nur-noch-nicht-Erkannte
Schiebt den Leichtsinn an den Rand.
Kerl, was bist du unentspannt!

Hier ist so viel Text!, Text!, Text! zwischen den Zeilen
Und fordert! Spaziergänger auf! zu verweilen.

Du nimmst statt der Dinge dich selber genau
Und salbaderst um alles Gewicht, gute Frau!

Doch der Dichtung Magie ist nicht berstender Wille,
Sondern hinter dem Zeilenschluss nistende Stille.

Strandgänger & das eintausendneunhundertdreißigste Gedicht

Blick von der Festungsmauer von Essaouira

Drift

In Booten Flächen zu queren,

Die mal wild wüten,
Gischt erbrüten,
Von des Urknalls Erbe zehren,

Lehrt, den Wert des Boots zu schätzen -
Da Planes schwingt
Und zu sich winkt
Die wettergegerbten Entsetzen.

Mein Ruder taucht in stille Flut,
Der es nicht traut.

Dem Ausguck graut
Vor dem ewigen Willen der Erdplattenwut.

Offenbach & das eintausendneunhunderteinundzwanzigste Gedicht

Am Büsing Palais von Offenbach

Shitstormgefährdetes Städtegedicht (verfasst auf der Regio-Rückfahrt von Offenbach)

Offenbar 'nen schlechten Tag
Hatte Gott bei Offenbach!
Führte dann ein Harnstau
Seine Hand bei Hanau?
Und ward Aschaffenburg nicht doch
Hervorgepresst durchs Afterloch?
Gibt's da noch Ärg'res, führt's durch
Das kerkergleiche Würzburg!

Da wir schon genug an solch Abgründchen leiden,
Schwor'n wir, die Besuche von München zu meiden!

Alternatives Ende:
Es versöhnt, dass sobald wir solch Müll übersteh'n,
Wir schon die Schönheit Münchens seh'n!

Hotelausstattung & das eintausendneunhunderterste Gedicht

In der Eingangshalle Salam Riads in Fes

Mittelmaßstab

Ein eingedelltes Mittelmaß
Will meinem Selbst ich bieten.
Ich kolonialisiere Spaß
Und ignoriere Nieten.
Wo ich mich als Mogul aufführ,
Ist Arme-Sau-Terrain -
Da erlässt man dem Image die Ausleihgebühr
Und ruft die Noblesse "à demain!".

Ich pimpe mir mein Mittelmaß
Für das Sinnenreich der Dekadenz
Im Ferienhaus gepflegter Stars.

Nur denke ich ständig: "Hier brennt's!?"

Königspalast Rabat & das eintausendachthundertneunundneunzigste Gedicht

Eingan zum Königspalast von Rabat

Reptilienstepper

Wir tanzen auf den Rücken von Krokodilen
Und jeder verlor schon ein Bein.
Wir zählen uns beide als manche von vielen,
Denn man tanzt ja nicht gerne allein.

Und wir komm'n nicht umhin, uns einander zu danken,
Aneinander gelehnt nicht mehr kritisch zu schwanken -
Wär'n wir auch prinzipiell bereit
Zu früh bestand'ner Wackligkeit.

Ob wir je zurück an das Ufer gelangen?
Ob ich einbeinig doch besser flieg?

Wenn andre auch um unsre Sicherheit bangen -
Noch immer läuft unsre Musik!

13 & das eintausendachthundertzweiundneunzigste Gedicht

Pappelallee

Gerade ein Mahnmal umstreunt das Vergessen.
ein Schrei ist ein Schrei ist ein Schrei
Was sorgsam in brutalen Zahlen vermessen,
Borgt uns spröde Tablettchen, bedruckt mit "Verzeih!".

Man kann einen vordem geharkten Pfad harken.
ein Schrei ist ein Schrei ist ein Schrei
Man kann all die Reue am Pavillion parken,
Aber die mit dabei war'n, sind nicht mehr dabei.

Die Mathematik lässt sich immer vererben,
Auch Repliken von "Arbeit macht frei",
Erinnern, gemahnen wie weitere Verben.
ein Schrei ist ein Schrei ist ein Schrei

Soukcat & das eintausendachthundertsechsundsiebzigste Gedicht

Schlafende Katze im Souk von Essaouira

Schlafbedarf um zäh vor zehn

Wie eine alte Haustürmatte
Liegt mein Körperfaul im Bett.
Es kontrastiert die Morgenlatte
Zum Grundgefühl "the earth is flat".

Bin rückdatiert auf Mittennacht,
Von Schlafbedarf durchraucht.
Vom All, das vor mir aufgewacht,
Ein Rundumlärmen faucht.

Der Morgen hechelt: "Nun musst du
Auf eignen Beinen Steh'n!"
Ich hab nur keinste Lust dazu -
So elend, zäh vor zehn!

Ait Benhaddou & das eintausendachthundertdreiundsechzigste Gedicht

Ausritt

Mein Kamelreiterschatten schwebt
Über das wärmste Orange,
Da statt Wüste die Milde lebt -
Sanft verrührt zur pastelligen Wohlfühlmelange.

Die Abendsonne zähmt ins Schnurr‘n:
Grellness und Dürre wie Hitze.
Sie schlurfen träge in den Spur‘n
Des Biests, das ich besitze.

Mein Kamelreiterschatten rauscht
Zum Rückweg mondbemalt.
Das Lichterspiel hat ausgetauscht
Und meine Seele strahlt.

Sahara & das eintausendachthunderteinundsechzigste Gedicht

Saharadünen bei Erg chebbi

Crossing Sahara

Wüste schmeckt man immer im Gaumen
Als vom Boden reflektierter Staub.
Es drückt der entgrünende Daumen
Die Kehlen mit Flüssigkeitsraub.

Ein Flimmern massiert unsre Schläfen
Und das Licht grellt sich tief in den Leib;
Verdorrt sind der Schleimhäute Häfen
Und die Zeit zäht sich durch den Vertreib.

Eine Gastfeindschaft hat sich hier fest etabliert,
Die ist nur an Auslöschung interessiert.

Man schmiegt sich in Benommenheit,
Da alles „Nicht willkommen!“ schreit.

Seiten

RSS - Dutzendzeiler abonnieren